INTERVIEW / GALLERYTALK / September 2019

Der rote Faden der Emotionalität
Annina Roescheisen im Gespräch

17. September 2019 • Text von Teresa Hantke

Ihr Leben lang war sie eng mit der Kunst verbunden, arbeitete im Auktionshaus und diversen Galerien bis sie selber Künstlerin wurde. Seitdem drückt sich Annina Roescheisen multidisziplinär in Performance, Videokunst sowie Malerei aus. Mit Gallerytalk sprach sie über Alchemie, Experimentierfreudigkeit und die Reduktion aufs Wesentliche.

Annina Roescheisen, Dani twice & Perli rolls the dice, 2019 © Annina Roescheisen.

gallerytalk.net: Annina, wie begann alles? Wann oder wie wurde Dir bewusst, dass du Kunst machen möchtest?
Annina Roescheisen: Aus meiner Sicht „beginnt“ man nicht Künstler zu sein − man ist es einfach. Der Zeitpunkt, bei dem sich das bei mir visuell in der Materie zeigte, war 2012. Meine größte Dankbarkeit geht dabei an den französischen Galeristen, Renaud Bergonzo. Er ermutigte mich die Seiten zu wechseln. Er sah die Künstlerin in mir, bevor ich sie selber vollends erkannt hatte. Ich kann nicht in Worte fassen, wie dankbar ich ihm auch heute noch dafür bin.

Was hast du gemacht, bevor du als Künstlerin gearbeitet hast?
Mein bisheriger beruflicher Werdegang war stets eng mit der Kunst verbunden. Das Studium an der LMU in München mit Abschluss Kunstgeschichte, die Arbeit beim Auktionshaus Sotheby’s, als Kunstagentin für diverse Künstler in Paris, als Kuratorin sowie verschiedene Positionen in Galerien haben mir ermöglicht den Kunstmarkt von der anderen, der meist administrativen Seite kennenzulernen. Heute würde ich nicht mehr zurückkehren wollen. Mein Herz schlägt als Künstlerin und ich werde den Pinsel hoffentlich bis zu meinem letzten Atemzug halten können.

Annina Roescheisen, Portrait by Christian Geisselmann © Annina Roescheisen.

Auch in deiner Familie gab es Künstler, den Bildhauer und Maler Ernst Moritz Geyger, Deinen Großvater. Inwieweit hat dich dieser Hintergrund in deiner künstlerischen Tätigkeit geprägt?
Den Bezug zu Ernst Moritz Geyger habe ich erst vor circa einem Jahr herausgefunden. Meine Familie ist sehr kunstaffin. Die diversen Museumsbesuche und besonders die Kirchenbesuche, die ich früher eher als qualvoll empfand, haben mich künstlerisch geprägt. Nicht umsonst hatte ich mich damals in meinem Kunstgeschichtestudium auf mittelalterliche Kunst spezialisiert. Vereinzelte Skulpturen gab es in meiner Werkpalette auch schon vor meinem Wissen der Werke meines Großvaters, der vor allem durch die Skulptur seines Bogenschützens bekannt wurde. Der Einfluss meines Großvaters schwingt heute wohl eher darin mit, dass ich aktuell an zwei neuen Skulpturen arbeite. Diese haben visuell nichts mit seinem Werk zu tun, aber er hat in mir die Lust neu geschürt, auch in dieser Materie wieder neue Arbeiten anzugehen.

Annina Roescheisen, Cosmic © Annina Roescheisen.

Du hast nicht Bildende Kunst studiert, sondern unter anderem Philosophie und Kunstgeschichte. Welchen Einfluss hat dieses Wissen auf deine Praxis?
Es hat vor allem zwei Dinge beeinflusst: Als Autodidaktin, habe ich Techniken nicht schulisch, sondern durch eigenständiges, tägliches Experimentieren erlernt. Ohne diese Regeln fühle ich mich in meiner Kreativität freier und ich denke, dass der Experimentierprozess auch anders ist, als der eines Künstlers der die Schule der Techniken erlernt hat. Dabei gibt es für mich hier kein besser oder schlechter, sondern einfach nur einen anderen Ansatz. Meine Imagination ist nicht beschränkt durch den Gedanken, was technisch möglich ist, sondern sie lässt mir die Freiheit unmögliche Dinge möglich zu machen. Ich erlebe dies beispielsweise bei meinen Farbmischtechniken, in denen ich Wege finde Farben zu vereinen, die sich laut Technik nicht vereinen lassen sollten. Meine Experimentierfreude ist groß, oft auch frustrierend und mühsam, aber ich fühle mich wie ein künstlerischer Alchemist.

Das Studium der Kunstgeschichte und der Philosophie hat mich insofern geprägt, als dass ich einerseits  den Werdegang der Kunst verstehe und andererseits die moderne Kunst als Kontext und Resultat der Historie. Visuell und thematisch jedoch prägt mich auch heute noch vor allem die mittelalterliche Kunst. Die damaligen philosophischen Themen wie die Fragen nach unserer Existenz sind heutzutage noch genauso aktuell wie damals. Die Liebe zur Ikonographie und einer metaphorischen Sprache finde ich heute noch genauso spannend wie im Studium.

Wie würdest du den Anspruch, den du an deine eigene Kunst hast, formulieren?
Mein Anspruch an meine eigene Kunst ist der, den Betrachter immer wieder neu zu stimulieren und ihn stets auf neue visuelle Reisen mitzunehmen. Der Bezug zum Kunstwerk wird damit bei jeder Betrachtung, anders, tiefer und resultiert, wie ich hoffe jedes Mal in neuen Fragestellungen, Deutungen und neuen visuellen Entdeckungen, die oft im Detail liegen. Am Ende geht es mir aber auch nicht um das Dechiffrieren, sondern um Emotionen. Dies ist das Thema, das mich am meisten interessiert und mit dem ich mich am meisten auseinander setzte. Ich wünsche mir nichts anderes, als das meine Kunst zumindest eine Emotion beim Betrachter weckt. Welche Emotion es ist, ist mir dabei egal – das liegt in der individuellen Freiheit des Betrachters. Aber auch das soll nicht gesteuert sein und kann nicht gesteuert werden. Pina Bausch sagte einmal sehr treffend: „I am not here to teach you something, I am just here to share“.

Annina Roescheisen, Bridging Grey, Video, performance and photography installation © Annina Roescheisen.

Du bist multidisziplinär unterwegs – im Dezember wird eine Ausstellung bei Ki Smiths Gallery in New York eröffnen, die Performances und Videoinstallationen zeigt. Im September eröffnest du eine Ausstellung mit Malereien in der Speerstra Gallery in Bursins. Sind diese verschiedenen Formen deines künstlerischen Schaffens für dich alle gleichwertig, oder wo kannst du dich am besten, am intensivsten ausdrücken?
Ich mag es mich in verschiedenen Medien ausdrücken zu können. Es bedeutet einerseits Freiheit für mich und andererseits, mich ständig neuen Herausforderungen stellen zu können, über meine Grenzen zu gehen und nicht repetitiv auf der Stelle zu treten. Jedoch gibt es zwischen all meinen Werken den roten Faden der Emotionalität, der mir seit Anfang meiner Karriere am wichtigsten ist. Ich wußte stets: Ich bin keine Konzeptkünstlerin und auch keine minimalistische Künstlerin – sondern vielleicht eine „humanistische“ – würde man nach einer Betitelung suchen. Ich suche mit meiner Kunst den Kontakt und den Dialog zum Betrachter durch Emotion.

Annina Roescheisen, Blue n°10, 2018 © Annina Roescheisen.

Deine Aquarelle und auch die neuen Gemälde der Serie „Unsung Heroes“, die du in der Schweiz zeigen wirst, sind abstrakte Gebilde, die doch Figuratives in sich tragen. Mich haben sie sehr an die Aquarelle des französischen Schriftstellers und Malers Henri Michaux erinnert. Würdest du sie eher der abstrakten oder figurativen Malerei zuordnen?
Für mich sind diese Werke figurativ, auch wenn ich verstehe warum Sie andere als abstrakt betiteln würden. Die Aquarelle sind aus einem Eigenexperiment entstanden, in dem ich mich selber fragte: „Wie ändert sich unsere Vision von Dingen vom Kindes- zum Erwachsenenalter? Was war für uns früher sichtbar, was heute unsichtbar ist und umgekehrt?“ Um dies besser zu verstehen zeichnete ich die ersten 6 Monate mit verschlossenen Augen. Ich wollte mich von dem Anspruch eines Erwachsenen an einer angelernten Ästhetik des Ergebnisses distanzieren und zu dem Punkt kommen, an dem man einfach macht oder in diesem Falle malt, ohne zu sehen wie das Ergebnis aussehen wird. Es war eine unglaubliche persönliche und auch künstlerische Erfahrung für mich, die ich hier schwer in wenige Worte fassen kann. Malt man jedoch einige Stunden am Tag ohne zu sehen – kommt eine gewisse Sicht zurück, und vor allem ein Vertrauen in sich selbst, und die Distanzierung von einem zu oft kritischen Eigenego was denn gut oder schön sei. Dem Begriff Emotionalität, habe ich für mich in dieser Phase komplett neu definiert, und auch wenn ich mich als einen Ästhet bezeichnen würde, so versuche ich meine Emotion über die Ästhetik zu stellen und entdecke dabei eine für mich komplett neue wundervolle und andere Welt.

Annina Roescheisen, Iana © Annina Roescheisen.

In der neu entstandenen Serie „Unsung Heroes“ geht es um die Idee der Simplizität, die Redaktion auf das Wesentliche. Kannst du etwas zum Entstehungsprozess erzählen?
Den Titel habe ich einer Freundin, Iana, zu verdanken. Sie machte mich auf den Begriff „Unsung heroes“ aufmerksam. Mich hat dieser Begriff bewegt, und die Ansichtsweise in den „simplen“ Dingen das Heroische zu sehen findet in mir Resonanz. Seit Jahren habe ich ein Lieblingszitat von Leonardo Da Vinci: „Simplicity is the ultimate sophistication“. Einfachheit bedeutet Reduktion auf das Wesentliche; mit dem Komplizierten anzufangen und sich mehr und mehr von allem zu befreien. Einfachheit birgt jedoch auch eine Komplexität und den Anspruch der Präzision und des Details. Jedes Wort, jeder Strich, jeder Ton steht nackt vor einem, ohne durch andere Dinge kaschiert werden zu können. Diese Einfachheit ist in meinen Augen puristisch und weit aus komplexer als man sich auf den ersten Blick vorstellen kann. Es impliziert für mich auch eine Dimension an Großzügigkeit anderen Menschen gegenüber. Simplizität trägt für mich Selbstbewusstsein, sich jedoch nicht wichtiger oder größer als seine Mitmenschen zu sehen. So einfach dieser Titel und der Inhalt des Begriffes „Unsung Heroes“ sein mag, birgt für mich gerade diese Simplizität eine tiefliegende Schönheit. Wir geben zu viel unserer Zeit Idole zu suchen und übersehen dabei das Heroische, das auch im Detail liegt.

„Unsung Heroes“ ist auch eine Lobeshymne an deine Freunde. Menschen, die dich inspirieren und unterstützen.
Meine Freunde bewegen mich. Ihr Leben, ihr Mut, ihre Auseinandersetzungen, ihre Kämpfe, ihre Freuden, ihr Leiden. „Unsung Heroes“ ist ein kleines Zeichen meiner Dankbarkeit und emotionalen Bewegtheit. Ich fühle mich „reich“, wenn ich meine Freunde ansehe, da jeder einzelne, in meinen Augen und meiner subjektiven Welt, eine unglaubliche Person ist.

 

Liebe Annina, vielen Dank für das Gespräch.

Anninas Solo-Ausstellung „Unsung Heroes“ in der Speerstra Gallery eröffnet diesen Samstag, den 21. September, in Bursins in der Schweiz und läuft bis 9. November.  Ab dem 14. Dezember wird ihre Performance- und Videoinstallation „Bridging Grey“ in der Ki Smith Gallery in New York City zu sehen sein. 

Alle weiteren Infos sind auf Anninas Website zu finden. 

 

Der rote Faden der Emotionalität